Die imposante und harmonisch in ihre Umgebung eingefügte Barockkirche des Kilian Ignaz Dientzenhofer ist dem heiligen Johannes Nepomuk geweiht (kostel svatého Jana Nepomuckého na skalce, church of Saint John of Nepomuk on the rock). Er ist einer der populärsten Heiligen der katholischen Kirche und ein völkerverbindendes Symbol für das kulturelle Erbe in Mitteleuropa.
Zwischen 1343 und 1348 in Pomuk/Nepomuk bei Pilsen geboren, wurde Johannes in Prag Kleriker und kaiserlicher Notar. Nach der Priesterweihe kümmerte er sich als Pfarrer an St. Gallus besonders um deutschstämmige Kaufleute. Er studierte Kirchenrecht in Padua und wurde dort Rektor der sog. „Ultramontani“, der Studenten aus den Gebieten nördlich der Alpen. Hochangesehen erhielt er das Kanonikat an St. Ägidius und bald am königlichen Kapitel auf dem Vyšehrad. 1389 wurde er zum Generalvikar in spiritualibus ernannt und war für alle Personalangelegenheiten der 1900 Pfarreien der Erzdiözese Prag verantwortlich. Damals bestanden drückende kirchenrechtliche und wirtschaftspolitische Spannungen zwischen König und Erzbistum. 1393 starb der Abt des Benediktinerklosters Kladrau, dessen Güter König Wenzel IV. zugunsten einer neuen Diözese einziehen wollte, um mit der königlichen Gründung den Einflussbereich des Erzbischofs Johannes von Jenstein einzuschränken. Doch die Neuwahl eines Abtes und die rasche Bestätigung durch den zuständigen Generalvikar kam dem König zuvor. Die Rache für den durchkreuzten Plan war fürchterlich und traf einzig Johannes, weil er als Nichtadeliger der königlichen Gerichtsbarkeit unterstand. Er wurde am 20. März 1393 gefoltert und vom König eigenhändig mit Fackeln gebrannt. Am Abend dieses Tages wurde er von der Karlsbrücke in die Moldau geworfen. Drei Jahre danach erlaubte Wenzel IV. die Überführung der Gebeine in den Veitsdom. Sein Grab im Chorumgang wurde hochverehrt, galt er doch als Märtyrer für die Erhaltung der Freiheit der Kirche. Durch die Kaiserchronik des Thomas Ebendorfer von Haselbach (1433) und Pavel Žídels Fürstenspiegel (1471) wurde Johannes als legendärer Hüter des Beichtgeheimnisses der böhmischen Königin volkstümlich bekannt. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Beichtszene erstmals auf einem Gemälde in der Fronleichnamskirche auf dem Karlsplatz dargestellt. Seit der Rekatholisierung der böhmischen Länder (1620) wurden Nepomukaltäre aufgestellt, eine Nepomukkapelle auf dem Felssporn gegenüber dem Kloster Emmaus errichtet und die erste Brückenfigur als Votivgabe gestiftet. Für Kaiser Leopold I., der sich bewusst für die Heiligsprechung einsetzte, war Johannes ideal, um die Zusammengehörigkeit der habsburgischen Länder aufzuzeigen.
Die Seligsprechung erfolgte 1721, die Heiligsprechung 1729 (Festtag am 16. Mai). Bald danach wurde Johannes nach dem hl. Wenzel zum zweiten Hauptpatron Böhmens, zum Landespatron von Bayern und zum Patron von Salzburg. Er gilt als Schutzpatron der Beichtväter, der Priester, der Schiffer, der Flößer und der Müller. Seine Statue ziert unzählige Brücken weltweit. Die fünf Sterne im Nimbus werden gerne mit den fünf Buchstaben des lateinischen „tacui“ („ ich habe geschwiegen“) gedeutet. Es ist darin aber auch ein mariologischer Zusammenhang zu sehen, denn die Legende berichtet von Johannes als Pilger zur Muttergottes von Altbunzlau (Stará Boleslav), die ihm den Sternenkranz zuwirft.
Den Karlsplatz (Karlovo náměstí) in der Prager Neustadt – im Mittelalter wohl der größten Platz Europas – ließ Karl IV. 1348 durch Verbreiterung einer südwärts führenden Handelsstraße anlegen. Hier standen riesige Markthallen für den Vieh-, Fisch-, Holz- und Kohlenhandel und das Gefängnisspital. Neuangelegten Kirchen setzten bewusste Akzente. Die Johannes-Nepomuk-Kirche ordnete sich später auf der Nord-Süd-Achse vom Neustädter Rathaus hin zur Kapitelkirche St. Peter und Paul auf dem Vyšehrad ein. In der Platzmitte stand ein hölzerner Turm, in dem ab 1354 jährlich am zweiten Freitag nach Ostern die Reliquien und die Reichskrönungskleinodien präsentiert wurden. Karl IV. hatte das damit verbundene Heiltumsfest zum allgemeinen Feiertag im Reich bestimmt, wodurch Prag zu einem der bedeutendsten Pilgerzentren Europas wurde. Der Turm wurde 1393 durch die Fronleichnamskirche ersetzt. Das Neustädter Rathaus im Nordosten war 1419 Schauplatz des ersten Prager Fenstersturzes. Nach 1848 wurde der Platz auf Anregung Graf Karl Choteks mit besonderen Bäumen bepflanzt und als Park gestaltet.
An der Südseite des Karlsplatzes stand der gotische Troppau-Palast, dessen Grundstück sich weit erstreckte. In der Renaissance wurde er umgebaut (noch sind Fresken aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts sichtbar). Wie auch andere, so hat hier im 18. Jahrhundert F. A. Mladota von Solopisk naturwissenschaftlich experimentiert, daraus verknüpfte sich die Sage vom Doktor Faustus mit diesem Haus („Fausthaus“). Eine barocke Umgestaltung erfolgte durch Franz Maximilian Kaňka, und 1769 fügte Anton Schmidt den Westflügel als Verwaltungssitz für den Administrator der Johannes-Nepomuk-Kirche hinzu. Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Fausthaus von Kaiser Josef II. zum ersten staatlichen Spital in der Stadt gemacht und dient heute als Apotheke und Fakultätskrankenhaus.
Das zweiflüglige Barockportal neben dem Fausthaus mit der ausdruckstarken Nepomuk-Kartusche führt zum interessant bepflanzten Garten vor der Barockkirche. Die ganze Anlage befindet sich auf einem der neun Hügel Prags, der Skalka, wodurch das Terrain einer unebenen Terrasse gleicht.
Der Kirchenbau
Am 16. Mai 1697 wurde eine vom Bürger Kristian Florian Höger gestiftete Holzkapelle zu Ehren des Johannes Nepomuk geweiht und unter die geistliche Verwaltung der Serviten von Na Trávníčku gestellt (Maria Verkündigung Na Slupi). 1706 bildete sich die angesehene Bruderschaft zu Ehren des Johannes Nepomuk unter dem Schutz der Jungfrau Maria, ein geplanter größerer Kirchenbau wurde aber durch das erzbischöfliche
Konsistorium gestoppt. Die Kanonisierung von Johannes Nepomuks musste abgewartet werden, und als auch eine Landwidmung von Josef Václav Seddeler hinzukam, konnte der berühmte und vielbeschäftigte Barockarchitekt Kilian Ignaz Dientzenhofer für den Bau der Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen (1730-1738) gewonnen werden.
Kilian Ignaz Dientzenhofer
Der Architekt hatte zu jener Zeit soeben die vom Vater Christoph geplante Johannes-Nepomuk-Kirche des Ursulinenklosters auf dem Hradschin beendet und Umbauarbeiten an der Kirche zu den sieben Schmerzen Mariens des Elisabethspitals Na Slupi geleistet. Auch Kilians Ignaz Dientzenhofers phantastischer Erstbau, die Villa Amerika, steht in der Prager Neustadt (Ke Karlovu 20). Neben dem Bau von Sankt Nikolaus in der Altstadt 1735 war er an noch Sankt Cyrill und Method sowie an Sankt Thomas beschäftigt. Kilian Ignaz (1689-1751) entstammt der oberbayerischen Baumeisterfamilie Dientzenhofer, deren Bauten das 17. und 18. Jahrhundert stilistisch mitprägten. Der Ruhm seines Vaters Christoph war durch die Nikolaus-Kirche auf der Prager Kleinseite begründet (1710). Sie gilt als Schlüsselwerk des böhmischen Hochbarock. Das architektonische Schaffen des Sohnes hingegen leitete zum Spätbarock über, indem er die böhmischen Formen mit dem höfischen Barockstil Wiens verband. So hatte Kilian Ignaz beispielsweise den ersten barocken Kuppelbau in Wien, die Peterskirche, aufmerksam rezipiert (Johann Lukas von Hildebrandt, 1708).
Der architektonische Gesamteindruck
Die unebene Terrainvorgabe und die gewählte kurvierte Architektur der überspielenden Wände der Kirche stellten hohe Ansprüche an die baukünstlerische Fähigkeit Dientzenhofers und ermöglichten ihm eine dynamische Wirkung ohne an Kompaktheit und Klarheit einzubüßen. Er realisierte die Verbindung eines Zentralbaus mit einem längs ausgerichteten Raum, den er mit einer Flachkuppel abschloss (Baldachingewölbe). Der Hauptraum bildet ein gestrecktes Oktogon, Chor und Vorhalle strecken wie querovale Riegel die Längsachse. Die Ostseite ist durch zwei rechteckige Sakristeiräume erweitert, drei Wendeltreppen führen zu den Oratorien und der Orgelempore.
Den Innenraum bestimmen die alternierend breiten, konvex-konkav einschwingenden Wände, die dicken Arkadenbögen und die geschichteten korinthischen Pilaster. Die kräftigen, mehrfachgestuften verkröpften Gesimse und gesprengte Segmentgiebel werden durch den kühlen weißen Verputz entschärft. In die schmäleren Wandabschnitte ist jeweils eine kastenförmige Altarnische mit Halbsäulen eingelassen, über die ein rundes Fenster durchbrochen ist, die breiteren Wandabschnitte sind jeweils mit einem großen Glockenfenster belichtet, so dass der Innenraum und das Kuppelfresko hell erstrahlen. Die klare Gliederung der Raumelemente verhilft zu einem kompakten, aber dennoch geräumigen Kirchenraum, in dem man sich gut zurechtfindet.
Die Innenraumgestaltung drückt sich sozusagen nach außen durch, sodaß die äußere Kirchenform das Spiel der Innenwände vorstellbar und neugierig werden lässt. Die Außenwände verschleifen auch die Ecken der Anbauten, wie vom Norportal her gut zu sehen ist. Die ruhigere, weichere nördliche Gartenfront kontrastiert die dominierende Westfassade, der eine imposante vierläufige Freitreppe vorgelagert ist. Dieser Aufgang gleicht den Höhenunterschied zum Straßenniveau aus und wird zur bastionartigen Umfassungsmauer der Anlage weitergeführt.
Die ungewöhnliche, diagonal gedrehte Stellung der beiden Vierkanttürme bringt eine Spannung in die komplexe Westfront und scheint die Ädikula nach vorne zu biegen. Halbsäulen, Segmentbogengiebel und ein Glockenfenster betonen das Hauptportal, über das sich ein Obelisk mit dem Relief des heiligen Johannes Nepomuk, mit den allegorischen Figuren des Glaubens und des Ruhmes flankiert, aufbaut. Die Glocke im rechten Turm stammt von Valentin Lissiak (1744).
Künstlerische Details
1769 wurde vom erzbischöflichen Kanzler Benedikt Stöber die Finanzierung der Administrator-Wohnung für Sankt Johannes Nepomuk am Felsen bereitgestellt und der Gartenflügel des Faust-Hauses von Anton Schmidt entsprechend gestaltet. 1898 wurde im Südareal der Kirche ein neues Administratorhaus erreichtet. Anton Schmidt war auch der Architekt des Torbogens zum Karlsplatz und 1776 der Freitreppe und der
nördlichen Sandsteinbalustrade entlang des Kirchhofes. Die Süd-Einfassungsmauer hat 1768 Jan Antonín Kunz errichtet. Der Skulpturenschmuck ist Bernard Seeling oder vielleicht Anton Braun zuzuschreiben. Im Zuge der Straßenregulierung mußte der Stiegenaufgang adaptiert und unterstützt werden (1852). Fassade und Umfassung wurden 1889 und 1925 restauriert und verputzt. Der Bombenangriff von 1945 zerstörte einige dieser Abschnitte. Eine neuerliche Renovierung der Umfassungsmauer erfolgte 2010/11. Reparaturen im Dachstuhl waren bereits 1780 und 1844 notwendig, und wiederum 2011/12.
Innenausstattung
Das flache Deckengewölbe, das scheinbar direkt den Himmel öffnet, wurde von dem böhmischen Freskanten Jan Karel Kovář 1738-48 ausgemalt. Es zeigt die Erhebung des hl. Johannes Nepomuk in den Himmel, an der illusionistischen Balustrade sind die auf seine Fürsprache hin Geheilten und Befreiten, aber auch Mütter, Kinder, Weggefährten und das Selbstporträt des Künstlers dargestellt. Das schmale Kuppelfresko des Presbyteriums schildert die Folter des Nepomuk, der Chor schließt mit der hl. Dreifaltigkeit ab. Über der Orgelempore ist das Heilungswunder einer kranken Frau thematisiert. Die Barockorgel mit zweiteiligem Prospekt und Manual datiert von 1760.
Der hl. Johannes von Nepomuk ist freilich in der ihm geweihten Kirche vielfach dargestellt: auf den Kuppelfresken, am Hochaltar, beim Johannesaltar, auf dem Schalldeckel der Kanzel, an der Stirnfassade der Kirche und in der Kartusche der Toreinfahrt. Darüber hinaus ist das Nepomuksymbol, die stilisierte Zunge im Heiligenschein mit fünf Sternen, im Stuckdekor zu finden. Die Lebensstationen sind am Hochaltar und am Kanzelaufgang reliefiert: Marter – Beichte der Königin – Mühlenwunder – Zungenreliquiar – Heilungswunder der M. Krebsova – Almosenspende.
Der Aufwand für die wertvolle einheitliche Einrichtung im Rokokostil (1739-49) verdankt sich K. G. Graf Schafgotsch, dessen Wappen mehrfach angebracht ist, aber noch 1750 legten Tischler und Steinmetze Rechnungen für die Balustraden, Chortüren und Stufen. 1753 werden die vier Bankgruppen und der Boden bezahlt. Die konvex-konkav segmentierten Beichtstühle sind ebenfalls rokoko (2. Hälfte des 18. Jahrhunderts), ebenso die geschnitzte oktogonale Kanzel. Aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunders sind auch das Verkündigungsbild oberhalb des Beichtstuhles und die Statue der hl. Katharian auf einer Konsole. Der hl. Antonius beim Nordeingang stammt aus dem 19. Jahrhundert. In der rechten Sakristei finden sich Originalkredenzen aus dem 18. Jahrhundert und ein Bild des Jan Nepomuk Schaffgotsch von 1773.
Das Interieur wurde 1860 restauriert (damals wurden an den Seitenaltären Bilder von Josef Hellich eingebracht). Bei der Restaurierung 1980 wurden die Altäre rebarockisiert.
Der barocke Hochaltar entstammt der Werkstatt von Ignaz Franz Platzer, und ist mit hl. Wenzel, der hl. Ludmilla, Engeln mit Märtyrersymbolen und dem Auge Gottes im Strahl gestaltet. 1819 wurde die vergoldete Holzstatue des hl. Johannes Nepomuk von Johann Brokoff (1682) eingefügt. Sie hatte als Gußmodell für die älteste und erste Nepomukstatue auf der Karlsbrücke gedient und war so zu einer ikonografischen Vorlage für die weiteren Darstellungen des tschechischen Heiligen geworden. Sie war Votivgabe für Lebensrettung des Freiherrn Gottfried Mathias von Wunschitz, das Tonmodell stammte von Matthias Rauchmüller (1681, heute in Prager Nationalgalerie), der Bronzeguß wurde vom Nürnberger Gießer Wolf Hieronymus Herold 1683 ausgeführt.
Die marmorierten Seitenaltäre sind rokoko-entsprechend mit zerklüfteten Engelwolken ausgestaltet und sind mit Stuckkartuschen der vier Evangelistensymbole akzentuiert. Im Presbyterium steht der ehemalige Josefsaltar mit dem hl. Florian (rechts) und dem 1658 heiliggesprochenen Augustinereremiten Thomas von Villanova. Der Johannesaltar zeigt ein Lukasgemälde aus dem Umkreis von Karl Škréta, die drei Johannesskulpturen kommen aus der Werkstatt von Johann Anton Quittainer. Der Altar der Heiligen Familie mit Gottvater und knieenden Engeln darüber ist von den Skulpturen des hl. Franz Xaver (rechts) und des hl. Norbert aus dem Umkreis Ignaz Franz Platzers bestückt. Der Marienaltar trägt die geschnitzte Reliefkopie des „Palladium Bohemiae“, des Gnadenbildes der Muttergottes von Altbunzlau. 1609 war dieses Bild zum Schutzbild des Landes („Palladium“) erklärt worden. Hier schließt sich der Rundgang in der Kirche mit dem Hinweis auf die tiefe Beziehung des hl. Johannes Nepomuk zur Gottesmutter Maria.
Text: Yasmine Wessely